Gedanken zum Camino
Von Karl-Heinz Wewers

Als 71-jähriger habe ich im Jahre 2009 zum ersten Mal den camino frances erpilgert.

 

Die 800 km von Saint-Jean-Pied de Port habe ich ohne Blasen und weitestgehend ohne andere Wehwehchen mit Bravour gemeistert. Die Pilgermesse hatte ich hinter mir, Jakobus in den Arm genommen und in der Krypta gebetet.
 
Draußen vor der Kathedrale gab es nun das große “Pilger-Familientreffen”. Ich traf fast alle wieder, mit denen ich in den letzten Wochen die Qualen durchstanden habe. Es gab viele Tränen, alle waren glücklich, es geschafft zu haben. Man drückte, küsste und beglückwünschte sich.

Danach besuchte ich mit einem Niederländer eine Tapasbar und anschließend setzten wir uns seitlich der Kathedrale bei herrlichem Wetter in den Biergarten eines Restaurants.
Es dauerte nicht lange, da vergrößerte sich die Runde ständig.
Hinzu kamen Silvia und Hans aus der Schweiz, Mini und ihr Mann aus Amsterdam, Johanna aus Eindhoven, die beiden hübschen Mädel aus Grassau am Chiemsee, Maggi, die 70-jährige Pilgerin aus England, Christel und Siegfried aus Karlsruhe, der "letzte Cowboy aus Oer" mit seinem Pilgerfreund Egon, die beiden Mädel aus dem Osten, und noch andere Pilger, die ich nicht kannte.

Wir tauschten noch Adressen aus, erzählten von unseren Erlebnissen, scherzten und flachsten miteinander, wobei jeder spürte, dass es nun vorbei ist. Um 17 Uhr löste sich die Runde auf.                    

 Jeder ging nun wieder seinen eigenen Weg, seinen "eigenen camino".

Ich schlenderte durch die Stadt meiner Herberge entgegen. Viele Fragen taten sich auf. Ich halte vor einem Pilgerkreuz inne. Da kamen mir plötzlich die vielen Kreuze am Wegesrand in Erinnerung, die als Andenken an die Pilger errichtet worden sind, die ihren Weg nicht zu Ende bringen konnten und unterwegs verstarben. Eine Woche nachdem ich die Pyrenäen überquert hatte, ist dort wieder eine Süd-Koreanerin ums Leben gekommen. Eine andere Frau konnte mit starker Unterkühlung noch soeben gerettet werden

Da kommt immer wieder die Frage auf: “Warum?”. Jeder, der los ging, hatte ein bestimmtes Motiv, und das Schwerste am camino ist es sicherlich, die Entscheidung zu treffen, ihn zu gehen. Aber warum? Wird man gezogen oder geschoben? Ich weiß es auch nicht. Mich hätte zum Schluss nur noch eine schwere Erkrankung davon abhalten können.

An einer Tafel fand ich die wohl passendste Antwort auf das “Warum". Sie lautete wie folgt:


Der Weg nach Santiago:

 


Staub, Schlamm, Sonne und Regen.
Das ist der Weg nach Santiago.
Tausende von Pilgern gehen ihn
und das schon mehr als tausend Jahre.

Wer ruft Dich, Pilger?
Welch geheime Macht lockt Dich an?

  Weder ist es der Sternenhimmel,
    noch sind es die großen Kathedralen.
Weder die Tapferkeit Navarras,
     noch der Rioja Wein.

Nicht die Meeresfrüchte Galiciens

                                             und auch nicht die Felder Kastiliens.

                                                                 Pilger, wer ruft Dich?
                                 Welch geheime Macht lockt Dich an?

Weder sind es die Leute unterwegs.
Noch sind es die ländlichen Traditionen.
Weder Kultur und Geschichte,
noch der Hahn von Santo Domingo.
Nicht der Palast von Gaudi
und nicht das Schloss Ponferradas.

All dies sehe und erlebe ich im Vorbeigehen
und dies zu sehen und zu erleben ist ein Genuss.

Doch die Stimme, die mich ruft,
fühle ich viel tiefer in mir.
Die Kraft, die mich vorantreibt,

die Macht, die mich anlockt,
auch ich kann sie mir nicht erklären.

 Dies kann allein nur "ER" dort oben.
 

Unter Pilgerreisen auf dem Jakobsweg findet Ihr weitere Berichte von meinen Jakobswegen.