Von Pedrouzo bis nach Santiago waren es noch 21 km
41./43.Tag.
Sa./ So./Mo., den 25./26./27.04.2009
Spruch des Tages:
Wenn du nicht weißt,
wohin du gehst,
landest du...
anderswo.
Lawrence Peter
Heute geht es auf die letzte Etappe. Bin schon um 7 Uhr auf den Beinen nach einer guten Nacht.
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Der Himmel ist klar, und schon bald zeigt sich die Sonne. Mit Alfred hatte ich mich für 7:15 Uhr verabredet. Er war nicht da, also bin ich los gelaufen. Ich wollte ja auch ohnehin diesen letzten Weg allein gehen. Es geht durch eine wunderschöne Landschaft. Bald schon höre und sehe ich die ersten Flieger, die vom Airport Santiago abheben. Da man die Landebahn umlaufen muss, kommt man sehr nahe an den Flugplatz heran.
Meine Beine laufen heute wie geschmiert. Trotzdem beschleicht mich ein ganz komisches Gefühl. Ich habe das Bedürfnis mit allen zu telefonieren. Kurz vor dem Denkmal “Monte do Gozo”, dem Erinnerungsdenkmal hoch oben auf dem Berg an den Weltjugendtag 1993 mit Papst Johannes, erreicht mich telefonisch Willi Leugers, dessen Spuren ich nun folge. Ich merke während wir uns unterhalten, wie es mir im Hals immer enger wird.
Vom Denkmal aus sehe ich zum erstem Mal die Dächer der Stadt Santiago im Sonnenschein mir zu Füßen liegen. Ich kann es nicht beschreiben, warum? Ich kann mich einfach nicht mehr halten, gehe in eine Ecke und heule wie ein Schlosshund. Fast jeder Pilger hat diese emotionalen Momente erfahren.
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Am Denkmal wird heute eine Fest gefeiert, die Musikkapelle kommt gerade vorgefahren. Mich interessiert das alles nicht mehr. Ich fliege mehr als ich laufe den Berg herunter, der Stadt entgegen. Ich muss unwillkürlich an den Einzug Jesu in Jerusalem denken.
Drei km vor der Innenstadt quartiere ich mich in der Herberge “San Lazaro” ein. Ich buche sofort für drei Nächte. Die Herberge ist vor sieben Jahren nach neuesten Gesichtspunkten errichtet worden. Man bekommt sogar frische Bettwäsche und Handtücher gestellt. Welch ein Luxus auf dieser Reise.
Ich mache mich etwas frisch, und schon laufe ich die letzten drei km der Innenstadt entgegen, bis zur Kathedrale. Die Samstagspilgermesse ist gerade zu Ende, und so bevölkern viele Pilger den Platz. Als erstes treffe ich “mein Töchterli” Monika aus der Schweiz, die mir an meinen übelsten Tagen in Foncebadon und El Acebo zur Seite stand.
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Pilger helfen eben einander. Hans, der Freund von Josef und Willi aus Österreich, ist auch schon da. Wir gingen gemeinsam zum Pilgerbüro und holten uns unsere "Compostela" ab, in der nun bescheinigt ist, dass Carolum Henricum Wewers als echter Fußpilger in Santiago angekommen ist. Auch bei der Aushändigung der Compostela wurden die Augen wieder feucht.
Nun wollte ich zu Jakobus. Der "Praza do Obradoiro" wird dominiert von der Westfassade der Kathedrale. Dahinter liegt die 1166 bis 1188 geschaffene "Portica de la Gloria". Zentraler Mittelpunkt des Figurenschmuckes ist die Mittelsäule, auf der Jakobus dargestellt ist. Die Säulenbasis ist von Millionen Pilgerhänden abgegriffen, so dass die Hand bis tief im Marmor gedrückt zu sehen ist. Ich besichtige die Kathedrale, den riesigen mit Gold, Silber und Edelsteinen verzierten Altar, in dessen Mitte der hl. Jakobus über allem thront. Ich ordne mich in die lange Schlange ein. Nach einer halben Stunde habe ich es geschafft und kann Jakobus in den Arm nehmen und drücken. Danach besuchte ich die Krypta, wo die Gebeine des hl. Jakobus in einem silbernen Schrein aufgebahrt ruhen. Auch hier haben die meisten Pilger Tränen in die Augen bekommen. Nun fehlt mir nur noch der Pilgergottesdienst, den ich morgen mitfeiern werde, um meine Pilgerreise zu komplettieren.
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Draußen vor der Kathedrale gab es nun das große “Pilger-Familientreffen”. Ich traf fast alle wieder, mit denen ich in den letzten Wochen die Qualen durchstanden habe. Es gab viele Tränen, alle waren glücklich, es geschafft zu haben. Man drückte, küsste und beglückwünschte sich. Am Abend wollten viele sich in einer Bar treffen. Ich hatte keine Lust dazu verspürt.
Am Nachmittag gab es dann galicisches Wetter, und es wurde sehr kalt. Erstmals konnte ich meinen Poncho in Aktion bringen, den ich in Sarria erworben hatte. Um sechs Uhr war ich wieder zurück in der Herberge. Dort traf ich zwei Mädels aus dem Osten. Ich stellte mich wie immer mit Karl vor. Ach, sagten sie: "Du bist Karl"?. Alle fragen: "hast du Karl gesehen". Sie wussten auch bereits, dass ich der Oldie auf dem camino bin. Wir aßen noch zusammen beim Italiener und zurück ging es in die warme Herberge. Ich schlief mit noch einem Spanier in einem Raum mit 9 Betten. Es wurde eine schöne ruhige Nacht.
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Ich mache mich rechtzeitig auf den Weg zur Kathedrale, um um 12 Uhr die Pilgermesse mit zufeiern. Kurz vor der Kathedrale treffe ich noch Helena aus Tallin wieder. Die Arme war die letzten 80 km nur in Badelatschen gelaufen, so zerschunden waren ihre Füße. Sie tat mir richtig Leid.
Es wird eine sehr feierliche Messe. Vor Beginn der Messe hat eine Nonne uns Pilgern mit ihrer feinen Stimme auf die Gesänge in der Pilgermesse eingestimmt. Von drei Priestern wurde die hl. Messe z.T. in lateinischer Sprache zelebriert. Ein Pilger las die Fürbitten. Ich konnte die meisten Gesänge mitsingen. Die Pilger aller Nationen wurden begrüßt. Nur der große “Botafumeiro”, das rund 50 kg wiegende versilberte Weihrauchfass, kam heute nicht zum Einsatz. Dieses wird sonst an einem langen Tau von sechs Männern durch die Kathedrale geschwenkt. Es war trotzdem alles sehr feierlich. Nun habe ich auch den letzten Akt meiner Pilgerreise vollbracht.
Früher kam der Botafumeiro zum Einsatz, um die strengen Körpergerüche der Pilger in der Kathedrale erträglicher zu machen. Wenn ich in meinen Rucksack rein rieche, dann ist das heute wohl noch fast genau so erforderlich. Es wird Zeit, dass alles mal richtig gewaschen wird. Mit einem Holländer aus Eindhoven besuchte ich eine Tapasbar, um uns etwas zu stärken. Wir kannten uns schon seit ein paar Tagen und trafen uns in der Messe wieder.
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Anschließend setzten wir uns bei schönem Wetter vor
eine Bar. Es dauerte nicht lange, da vergrößerte sich die Runde ständig.
Hinzu kamen Silvia und
Hans aus der Schweiz, Mini und ihr Mann aus Amsterdam, Johanna aus
Eindhoven, die beiden hübschen Mädel aus Grassau am Chiemsee, Maggi, die
70-jaehrige Pilgerin aus England, Christel und Siegfried aus Karlsruhe, der "letzte Cowboy aus Oer",
die beiden Mädel aus den Osten, und noch andere
Pilger, die ich nicht kannte. Wir tauschten noch Adressen aus, erzählten von
unseren Erlebnissen, scherzten und flachsten miteinander, wobei jeder spürte,
dass es nun vorbei ist. Um 17 Uhr löste sich die Runde auf.
Jeder ging nun wieder seinen eigenen Weg.
Ich schlenderte durch die Stadt meiner Herberge entgegen. Viele Fragen taten sich auf. Ich halte vor einem Pilgerkreuz inne. Da kamen mir plötzlich die vielen Kreuze am Wegesrand in Erinnerung, die als Andenken an die Pilger errichtet worden sind, die ihren Weg nicht zu Ende bringen konnten und unterwegs verstarben. Eine Woche nachdem ich die Pyrenäen überquert hatte, ist dort wieder eine Süd-Koreanerin ums Leben gekommen. Eine andere Frau konnte mit starker Unterkühlung noch soeben gerettet werden.
Da kommt immer wieder die Frage auf: “Warum?”. Jeder, der los ging, hatte ein bestimmtes Motiv, und das Schwerste am camino ist es sicherlich, die Entscheidung zu treffen, ihn zu gehen. Aber warum? Wird man gezogen oder geschoben? Ich weiß es auch nicht. Mich hätte zum Schluss nur noch eine schwere Erkrankung davon abhalten können.
An einer Tafel fand ich die wohl
passendste Antwort auf das “Warum". Sie lautete wie folgt:
Der Weg nach Santiago:
Staub, Schlamm, Sonne und Regen.
Das ist der Weg nach Santiago.
Tausende von Pilgern gehen ihn
und das schon mehr als tausend Jahre.
Wer ruft Dich, Pilger?
Welch geheime Macht lockt Dich an?
Weder ist es der Sternenhimmel,
noch sind es die großen Kathedralen.
Weder die Tapferkeit Navarras,
noch der Rioja Wein.
Nicht die Meeresfrüchte Galiciens
und auch nicht die Felder Kastiliens.
Pilger, wer ruft Dich?
Welch geheime Macht lockt Dich an?
Weder sind es die Leute unterwegs.
Noch sind es die ländlichen Traditionen.
Weder Kultur und Geschichte,
noch der Hahn von Santo Domingo.
Nicht der Palast von Gaudi
und nicht das Schloss Ponferradas.
All dies sehe und erlebe ich im
Vorbeigehen
und dies zu sehen und zu erleben ist ein Genuss.
Doch die Stimme, die mich ruft,
fühle ich viel tiefer in mir.
Die Kraft, die mich vorantreibt,
die Macht, die mich anlockt,
auch ich kann sie mir nicht erklären.
Dies kann allein nur
"ER" dort oben.
Am Dienstag erwarte ich Ursel und hole sie
am Flughafen ab. Wir werden dann gemeinsam zu Jakobus gehen und
anschließend entlang der Küstenstrasse nach Finesterre, dem früheren Ende der
Welt. Ich hoffe auf schönes Wetter, so dass wir zusammen in Finisterre die Sonne
im Meer versinken sehen können. Von dort werden wir dann auch noch Muxia
besuchen.
27.04.2009
Mein Ruhetag
Es ist mein Ruhetag. Ruhe nach all den
anstrengenden Tagen und Wochen. Ich war so geschafft, ich habe die Nacht und fast den ganzen
Tag geschlafen.
Euer Carolum Henricum Wewers
27.4.2009 bei 21:00
Hola Karl-Heinz,
auch wenn du laut Blog noch gar nicht in Santiago bist,
habe ich als Sohn dem ein oder anderen Blogger jedoch den großen Vorteil zu wissen,
dass du
- nach 800 km
- nach 6 Wochen marschieren
- mit Gepäck
- mit Übernachtungen in den großen Herbergen
- und ein paar Wehwehchen am Fuß
bereits in Santiago angekommen bist.
Dazu einen herzlichen Glückwunsch.
Die vier Kölner sind stolz auf Dich.
Bis bald
Jürgen
P.S.: genieße die nächsten Tage mit Ursel und erhole dich ein wenig
28.4.2009 bei 09:59
JAAAAAA, herzlichen Glückwunsch auch aus Angermund!
Kalle ist in Santiago… und Ursel ist nun auch schon am Flughafen in Düsseldorf und fliegt mit Ihrem Rucksack über Palma ebenfalls nach Santiago.
Wahrscheinlich wird es in den nächsten Tagen noch eine kurzfristige Tour-Änderung geben. Evtl. werden sich die beiden für die Route am Wasser (Atlantik) entlang über die Städte Noja - Muros - Carnota - Cee - Finisterre entscheiden.
Wir wünschen Euch eine schöne gemeinsame Zeit. Genießt es.
Liebe Grüße aus Angermund
Macke & Cordu
28.4.2009 bei 11:37
Guten Tag lieber Karl-Heinz,
nun endet die Pilgerreise, Gott sei Dank, dass Du es geschafft hast. Danke für Deine Berichte. Ich habe sie alle weiter gegeben an interessierte Freunde. Da waren immer allerhand Leute in Gedanken bei Dir. Feuchte Augen sind wohl unvermeidlich, nicht nur bei Dir. Komm gut heim.
Viel Grüße und Gott mit Dir.
Ulrich
28.4.2009 bei 11:43
Hallo Karl-Heinz,
herzlichen Glückwunsch!!!
Bitte melde Dich umgehend bei mir.
Ich hab Deine Mobilnummer verlegt
Beste Grüße
Jörg Müller
28.4.2009 bei 12:11
Hallo Karl-Heinz, Inge und Alexander gratulieren Dir zu dieser außerordentlichen Leistung. Mit Interesse haben wir Deine Etappenberichte gelesen und besonders auf den heutigen gewartet.
Man kann sagen, wir sind mit Dir in Gedanken mitgelaufen. Bewundert haben wir Deinen Willen und Deine Kondition mit denen Du auch kleine und große Probleme sowie Strapazen beherrscht und verdrängt hast - Alle Achtung!!!!! -
Wir wünschen Dir, dass Du mit Deiner Frau noch einige erholsame Tag verleben wirst. Wir würden uns freuen demnächst einige Bilder zu sehen bekommen.
Alles Gute für die nächsten Tage von Inge und Alexander
28.4.2009 bei 12:26
Hallo Karl-Heinz,
herzlichen Glückwunsch zu der tollen Leistung!
Viele Grüße
Thomas
28.4.2009 bei 14:41
Herzlich Glückwunsch zu Deinem Weg. Es ist eine hervorragende Leistung die Du da hingelegt hast. Wir haben jeden Tag, wie viele andere auch, auf Deinen Bericht gewartet. Jetzt wünschen wir Dir und Ursel noch ein Paar schöne Urlaubstage.
Bis bald am See
Martin und Ariane
28.4.2009 bei 18:18
Lieber Karl-Heinz,
ich habe eine Gänsehaut!!!! Da wo du jetzt bist, wäre ich auch so gern. Freue mich schon riesig auf meine Fortsetzung des Caminos auf “DEINEN SPUREN”!
Eine schöne Zeit mit Ursel wünscht dir
Silvia
29.4.2009 bei 11:07
So, dann möchte ich mich, etwas verspätet, aber umso herzlicher, auch in die Reihe der Gratulanten einreihen. Aber schließlich war ich letzte Woche im Rom und habe an den Gräbern der Hl. Petrus, Paulus, Katharina von Siena und Monika kräftige Mementis für den Pilger eingelegt… Ich wünsche jedenfalls einen entspannenden und frohen Ausklang der Wanderung….
Clemens Kreiss
30.4.2009 bei 11:12
Hallo Karl, es ist schön von dir zu hören, dass du in Santiago angekommen bist. Wir (Christine und ich) haben Santiago schon am 21. April erreicht. Wir haben unterwegs immer wieder einige aus der Gruppe in Leon wieder getroffen.
Ich arbeite schon seit einer Woche wieder. Es ist irgendwie ungewohnt, nach so langer Zeit der Wanderung wieder in das “normale Leben” zurückzukehren. Man kann einfach immer weiter laufen.
Viele Grüße Gerd
30.4.2009 bei 12:21
Wir sind alle sehr stolz auf Dich und freuen uns total Dich und Mama bald wieder in unserer Nähe zu haben.
Genießt nun Eure gemeinsame Zeit!!!
Andrea, Frank, Maxi und Anna